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Integration aller Disziplinen:

Multidisziplinäre Entwicklung in einer Plattform keine Utopie



Siemens PLM Software arbeitet seit einiger Zeit mit Hochdruck an der multidisziplinären Produktentwicklung in einer Plattform. Mechanik, Elektrik - Elektronik und Software sollen letztendlich ein einheitliches Modell eines zukünftigen Produkts ergeben. Über Details dazu sprach der CAD.de/NL mit Andreas Saar, Vice Präsident Engineering Solutions und Additive Manufacturing und Peter Scheller Marketing Director NX in Deutschland, Siemens PlM Software, am Rande der Hannover Messe 2018.

CAD.de/NL: Herr Saar, wie weit ist Siemens denn wirklich bei der Integration von Mechanik, Elektrik und Software?
Saar: Bei dem Kauf von Mentor Graphics vor circa eineinhalb Jahren war es eines der Hauptanliegen, diese Integration voranzutreiben. Ich halte das für sehr wichtig bezüglich der zukünftigen Entwicklungsmöglichkeiten unserer Kunden.
Natürlich ist eine solche Integration nicht von heute auf morgen zu erledigen, aber der Plan ist ganz klar, dass wir das unter einer Plattform integrieren.
Geht der Weg erst einmal über gelinkte Systeme?
Saar: Ja, das sehe ich so, damit wir die Sache erst einmal vereinfachen und eine Möglichkeit für den Datenaustausch bereitstellen. Das Endziel ist es jedoch, eine einzige Plattform zu schaffen.
Scheller: Der nächste Schritt ist ein        ECAD/MCAD-Viewer. Wir bringen einen solchen Viewer demnächst auf den Markt, womit man alle gängigen ECAD- und MCAD-Systeme visualisieren kann. Ein erster Schritt, um Informationen auszutauschen. Die Entwickler aus dem Bereich Mechanik können damit direkt die Informationen ihrer Kollegen aus der Elektronik visualisieren und umgekehrt. In einem gemeinsamen Werkzeug werden so die Inhalte beider Disziplinen für jeden verständlich visualisiert.
 
 
Aber das ist noch keine Integration.
Scheller: Nein, aber ein Schritt dorthin.

Klar ist: Die Elektrik wird in Zukunft weiter von einem Elektroingenieur entwickelt, die Mechanik von einem Maschinenbauingenieur und die Software ggf. von einem Informatiker. Nur arbeiten sie alle in das gleiche System hinein. So entstehen ein Modell und eine Stückliste – das macht den Unterschied zu heute aus.
Saar: Der Druck, dahin zu gehen, wird kommen, unter anderem auch von Seiten der additiven Fertigung. Wenn ich verschiedene Materialien in einem Werkstück drucken kann, beispielsweise Plastik und Metall, dann kann ich auch ein fertig verdrahtetes Werkstück drucken und mehr.
Schon allein aus diesem Grund wird es nötig sein, auf der Entwicklungsseite mit einem Modell zu arbeiten.


Andreas Saar, Vice Präsident Engineering Solutions und Additiv Manufacturing der Siemens PLM Inc.

Und wenn wir an eine solche Integration denken, wird es dann so eine Art Software-Bus sein, in den man die verschiedenen Applikationen "reinhängt" oder sprechen wir von einem Kern, der alle Disziplinen trägt?
Saar: Das kann ich heute noch nicht genau sagen. Auf jeden Fall wird es eine einheitliche Benutzeroberfläche sein und auch ein integriertes Datenmodell.
Wie schon angedeutet, streben wir ja auch die Integration verschiedenster Materialien – sowohl auf der Entwicklungsseite als auf der Fertigungsseite. Wie kann man das als Konstrukteur optimal beschreiben? Das zu klären und in NX umzusetzen, daran arbeiten wir zurzeit sehr intensiv.
Wir arbeiten noch nicht daran, PCBs komplett zu drucken. Aber auch das wird in Zukunft kommen.
Scheller: Dazu von mir noch eine Anmerkung: Darum haben wir beispielsweise die Firma TASS International gekauft. Die ist zwar zunächst noch von der Elektrik ein Stück weg, jedoch wenn wir z.B. auf die Automobilindustrie schauen, die in Zukunft hochkomplexe Systeme realisieren will, mit enorm hohen Datenströmen, dann wird das auf deren Hardware Einfluss nehmen. Da ist dann nichts mehr mit Standardrechnern zu machen, sondern nur noch mit spezieller Hardware, die sich in ebensolchen Leiterkarten niederschlagen wird. Über die Software von TASS International können alle relevanten Sensoren und Aktoren für das Autonome fahren digital abgebildet werden, um so eine vollständige Simulation eines autonomen Fahrzeuges im Verkehr zu simulieren. Hierzu werden Streckenverläufe über Kamerasysteme direkt bei der realen Testfahrt digitalisiert und stehen danach als digitale Teststrecken zur Verfügung. Die Realisierung solcher autonomen Fahrsysteme erfordert eine enorme Rechenleistung und für diese Anforderungen optimierte integrierte Schaltungen, deren Auslegung wir unseren Kunden über die Integration von Mentor anbieten können.
Wenn wir das gesamtheitlich betrachten, war es schon ein sehr geschickter Schachzug, Mentor zu übernehmen.

Das kann man sicher sagen und nicht nur mit Blick auf die Automobilisten, auch der Maschinen- und Anlagenbau bringt immer intelligentere Konstruktionen hervor.
Saar: Es hat hier keinen Sinn, philosophisch zu werden, sondern man muss realistisch bleiben. Solch umfangreiche Systeme zu integrieren, dauert einfach eine gewisse Zeit. Wir wissen das aus der Integration von SDRC und Unigraphics, woraus dann NX entstand, oder aus der Integration der verschiedenen Teamcenter-Aspekte etc. Der Aufwand ist hoch, aber das Ziel ist dennoch ganz klar.
Und je besser die Integration ist, desto besser lässt sich das in den Folgesystemen nach unten hin nutzen. Denn das ist heute noch die große Frage: Wie nutze ich diese Daten?


Propeller produziert in Additiver Fertigung, mit verschiedenen Materialien.

Und man muss sich Gedanken darüber machen, was kommt zuerst bei einem solchen komplexen Prozess. Ich brauche ein Tool, mit dem ich zunächst einmal das geplante Kunden-System abstrakt beschreiben kann - nicht textuell, sondern ingenieurmäßig, damit jeder in den verschiedenen Disziplinen überhaupt weiß, was er machen soll.
Scheller: Ja, da geht es ganz klar ins modellbasierte Systemdesign. Mit reinen Texten kommt man in der Tat nicht mehr weiter. Solche Tools, die das zulassen, haben wir bereits im Angebot.

Eine Systembeschreibung lässt sich aber auch mit einer Art "Visio" bewerkstelligen. Das ist einfach und geht schnell.

Scheller: Ja, unser Simcenter-Amesim arbeitet so ähnlich. An der Oberfläche sieht es so aus, wie ein Visio-Schema, aber was dahintersteckt, z.B. an mathematischer Beschreibung, das hat es in sich. Damit gelingt es ganz früh in der Entwicklung, sehr komplexe Systeme auf eine Gesamtfunktionalität hin zu überprüfen.

In einer Ihrer Pressemitteilungen wird von der Integration auch von Steuerungen gesprochen. Wie ist da der gegenwärtige Stand - Siemens hat ja viele Steuerungen?

Saar: Das ist recht unterschiedlich, je nach Steuerungstyp. Eine sehr gute Integration haben wir mit den CNC-Steuerungen, beispielsweise Sinumerik 840D sl.
Was die Automatisierungsseite angeht, gibt es ebenfalls eine Integration, so dass man eine virtuelle Anlage komplett steuern und ausprobieren kann. Das hilft enorm, um eine Anlage in Betrieb zu nehmen und zu programmieren. Da gibt es schon einige fertige Integrationen. Wir nennen die Bausteine "Digital Enterprise"-Module. Es gibt bei uns einen eigenen Bereich, der sich nur um diese Module kümmert.

Nur durch diese Integration komme ich letztlich auch zum digitalen Zwilling.
Saar: Das ist genau das, was wir damit bewirken.

Gestatten Sie, dass wir noch ein anderes Thema ansprechen, welches aber mit der Integration viel zu tun hat, nämlich die Regelverarbeitung. Siemens hat ja schon vor langer Zeit einen gewissen Stand von "Intent" gekauft und in NX integriert, unter dem Namen Knowledge Fusion.
Was ist damit geschehen? Bis auf die Ausnahme, „Templates“, ist nichts bekannt geworden.
Scheller: Knowledge Fusion steckt überall mit drin, man sieht es nur nicht. Unser kompletter Programmiercode ist damit gekoppelt.
Saar: Es gibt schon eine ganze Menge Kunden, die das sehr intensiv nutzen. Die regelbasierte Konstruktion ist keine Ausnahme. Scheller: Weil Sie Templates ansprachen: Product Template Studio ist ein Tool, welches die Regeln nutzt, um Bausteine für ein spezielles Thema zu generieren. Mit einer dieserart auf Vorlagen basierenden Konstruktion lassen sich Produktentwicklungsprozesse beschleunigen und standardisieren. NX Product Template Studio stellt dem Anwender die Werkzeuge zur Erstellung von CAD-Vorlagen zur Verfügung.


Die Integration von Siemens- Steuerungen mit NX, ist, je nach Typ, unterschiedlich weit vorangetrieben worden:

Was wir aber meinen, ist die automatische Variantenkonstruktion mit Hilfe von Konfiguratoren. Beispielsweise wird mit 50 Parametern eine Hochofenfeuerung mit 13.000 Teilen gesteuert. Dabei entstehen Rationalisierungsfaktoren, die mit 10 - 50 nicht zu hoch angegeben sind...
Scheller: Soweit sind wir uns einig. Nur unsere Kunden packen da so viel eigenes Know-how hinein, dass sie das nach außen eben nicht kommunizieren wollen. Darum sehen und hören Sie davon wenig.
Und darum nennen wir es nach außen nur noch Product Template Studio, PTS, das es erlaubt, die Konstruktion und Nachfolgeprozesse bis in die Fertigung komplett zu automatisieren.

Wir haben in Mitteleuropa ein großes Problem, die Firmen finden keine qualifizierten Mitarbeiter mehr und können daher Aufträge gar nicht mehr abwickeln. Wenn man hier im Engineering nun automatisiert, dann entstehen Freiräume, die es den Firmen erlauben, mit einem bestimmten Personalstand weiter zu machen und dennoch zu wachsen.

Scheller: Die Kombination von fertig ausgetesteten Bausteinen, Templates und generativem Design, das sehen wir auch als Zukunft der Konstruktion.
Saar: Für uns besteht die Schwierigkeit darin, dass wir immer nur Tools zur Verfügung stellen können. Das Know-how sitzt ja in den Anwenderfirmen. Die müssen es mit Hilfe der Tools in Konfiguratoren umsetzen, oder es von einem Dienstleister tun lassen. Beides bedeutet Aufwand.


Peter Scheller Marketing Director NX in Deutschland, Siemens PlM Software.

Wir meinen, Sie als Anbieter der Tools müssen mehr darüber reden. Wir helfen Ihnen gerne dabei, das Wissen dann zu publizieren. Nur ohne entsprechenden Input geht es halt nicht. Viele Anbieter meinen immer noch, es funktioniert nicht. Die, welche sich doch trauen, die wollen dann plötzlich nicht mehr darüber sprechen, weil die Ergebnisse so gut sind, dass doch bitte der Wettbewerb nicht darüber erfahren soll.
Saar: So ähnlich ist es auch bei Additive Manufacturing. Diejenigen Firmen, die richtig eingestiegen sind und die großen Vorteile sehen, die halten es geheim. Aber das wird sich in den nächsten Jahren ändern; da bin ich mir sicher.

Herr Saar, Herr Scheller, vielen Dank für das Gespräch.


www.siemens.com/PLM

- Karl Obermann –

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