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Digitaler Zwilling:

Der Einstieg in die zustandsorientierte Wartung



Der Digitale Zwilling ist nicht nur ein virtueller Mechanismus, um Produkte in der Entwicklung zu optimieren, sondern auch eine Möglichkeit, die zustandsorientierte Wartung aufzubauen. Um in dieser Hinsicht ihren Kunden effektiv helfen zu können, ist der Berechnungsspezialist, CADFEM, in das Thema eingestiegen. Details dazu erfuhr der CAD.de/NL von Christof Gebhardt, Business Development Manager bei der CADFEM GmbH.

CAD.de NL: Herr Gebhardt, für uns war der Digitale Zwilling bisher ein virtuelles Modell, bestehend aus Mechanik, Elektronik und Software, um den Gesamtmechanismus zu simulieren, zu optimieren und insgesamt besser auslegen zu können. Auch die virtuelle Inbetriebnahme spielt dort mit hinein. Bei Ihnen scheint dieser Begriff aber anders definiert zu sein?
Gebhardt
: Wir sehen es tatsächlich anders. Wir sehen den Digitalen Zwilling nicht als Basis für eine neue mechatronische Produktsimulation mit dem Ziel der Produktoptimierung während der Konstruktionsphase. Für uns ist es ein Zwilling, wenn es ein physisches Gegenstück gibt, dann und nur dann.
Dies bedeutet, dass der Digitale Zwilling das reale Gebilde exakt wiederspiegelt. Dabei kann es durchaus so sein, dass an sich gleiche Produkte im realen Betrieb doch nicht gleich sind. Etwa weil die Lastsituationen unterschiedlich sind. Ein typisches Beispiel hierfür wären Windräder. Je nach Aufstellungsort haben sie ganz verschiedene Lasten aufzunehmen und erbringen dann auch unterschiedliche Leistungen. Darauf muss der Digitale Zwilling reagieren bzw. abgestellt werden, um stets ein individuelles Abbild vorliegen zu haben.


Elektromagnetische Simulation des Relais.

Was macht man damit?
Es geht darum, ein genaues Bild davon zu erhalten, wie die Anlage zu einem Zeitpunkt „X“ funktioniert. Um daraus dann wieder abzuleiten, ob etwas zu tun ist, beispielsweise Betriebsstoffe nachfüllen, Teile rechtzeitig austauschen etc.
Natürlich gibt es auch reale Sensoren, die solche Daten abfragen und in eine Leitwarte übertragen können. Warum also ein digitales Abbild noch? Nun, es ist so, dass Sie das digitale Abbild über Sensoren allein eben nicht erfassen können. Hier kommen dann die so genannten „virtuellen Sensoren“ zum Einsatz. Sie sind so aufgebaut, dass der Nutzer mit ihrer Hilfe den tatsächlichen Anlagenzustand bewerten kann und ein besseres Gesamtbild bekommt.

Um mit dem dann u. a. die vorausschauende Wartung zu realisieren?
Ja, die zustandsorientierte Wartung ist eines der klassischen Einsatzfelder.

Gibt es bei Werkzeugmaschinen seit 15 Jahren!
Das ist richtig, aber nicht in dieser Kombination von realen und virtuellen Daten und einem Simulationsmodell, welches parallel zur realen Anlage betrieben wird. Heute kann man mit der neuen Technologie einen tieferen Einblick in das System gewinnen. Die Folge ist eine bessere Bewertung aktueller Betriebszustände und somit wirtschaftlich sinnvollere Reaktionen darauf.
Der Umstieg von vorsorglicher auf zustandsorientierter Wartung bietet die Chancen für hohe Kosteneinsparungen. Laut einer Studie vom amerikanischen Energieministerium darf damit gerechnet werden, dass sich die Ausfallzeiten um 70% verringern und die Kosten um 25%.


Technische Umsetzung des Digitalen Zwillings erfolgte bei diesem Projekt gemeinsam mit der Firma Phoenix Contact.

Was ist ein virtueller Sensor?
Der virtuelle Sensor ist Teil des Simulationsmodells. Es ist im Prinzip ein Auswertepunkt im Simulationsmodell.
Das Simulationsmodell stellt hohe Anforderungen an den Hersteller. Es muss genau der realen Anlage entsprechen, man muss sich auf die Ergebnisse der Simulation verlassen können und es muss performant genug sein, um es parallel zum praktischen Betrieb laufen lassen zu können. Ein klassisches FEM-Berechnungsmodell könnte das nicht leisten, es ist zu langsam. Es muss daher hier ein Modell geschaffen werden, welches die Genauigkeiten als auch die nötige Schnelligkeit erbringt. Der Hebel dafür ist eine Modellordnungsreduktion, d. h. wir machen zunächst eine 3D-Analyse der verschiedenen Systemkomponenten und daraufhin leiten wir so genannte Verhaltensmodelle ab. Diese erfüllen die Anforderungen, wie vorher genannt. Damit sind wir dann in der Lage, reale Sensordaten in das Simulationsmodell einzuspeisen und parallel zum praktischen Betrieb, an den virtuellen Sensoren, auszuwerten.

Dazu müssen reale und virtuelle Welt permanent gekoppelt sein?
Wie oft die Daten abgefragt werden, hängt vom Einsatzfall ab. Es gibt dazu verschiedene Wege, die Verbindung herzustellen. Es gibt Kunden, die das individuell lösen, es gibt aber auch Standardlösungen, wie Thingworx von PTC oder AWS von Amazon, IoT-Plattformen, die kommerziell eingesetzt werden können.

Wenn wir Datenverbindungen über das Internet nutzen wollen, dann haben wir sofort ein Sicherheitsproblem.
Das denken wir nicht. Die genannten Plattformen haben Sicherheitskomponenten mit an Bord, die schon für ein erhebliches Maß an Sicherheit sorgen. Entsprechende Zertifizierungen liegen vor. Aber ja, man hat hier das Internet mit im Spiel und die absolute, 100-prozentige Sicherheit gibt es nicht. Deshalb muss jeder überlegen, welchen Weg er gehen möchte.

Gibt es über die zustandsorientierte Wartung hinaus noch andere Vorteile?
Ja durchaus. Die durch die oben genannten Verfahren anfallenden Daten können u. a. auch genutzt werden, um den Betrieb von Maschinen und Anlagen zu optimieren. Und wenn man so genau über seine Maschinen Bescheid weiß, ist es letztendlich auch möglich, die Gesamtkosten über die Lebensdauer hinweg exakter zu bestimmen als bisher.
Die vielen realen Daten, die man nun hat, helfen den Konstrukteuren, die nächste Maschinen- oder Anlagengeneration besser zu machen als die bisherige; auch das ein gewichtiger Vorteil.


Systemsimulation des Relais mit Hilfe von Verhaltensmodellen, wobei der Digitale Zwilling in die
IoT-Plattform, Thingworx, von PTC eingebunden ist.


Was hat jetzt CADFEM auf diese Spur gebracht, wie kam das zustande?
Weil wir eben sehen, dass bei unseren Kunden starke Veränderungen im Gang sind. Die Digitalisierung und Vernetzung führen dazu, dass die Wertschöpfung sich mehr und mehr in Richtung Elektronik und Software verschiebt! Das ist ein Trend, bei dem Simulation viel helfen kann. Der Digitale Zwilling ist eine Ausprägung davon. Es handelt sich hier um eine Produktsimulation, wo alle Komponenten, Mechanik, Elektronik und Software miteinander interagieren. Auch unser Hauptprodukt, Ansys, hat sich ja immer mehr in diese Richtung entwickelt, sprich immer mehr Funktionalitäten aus der ´elektronischen Ecke´ können heute mitsimuliert werden.

Wie ist jetzt Ihre Schnittstelle zum Kunden in diesem „Spiel“. Was macht CADFEM, was macht der Kunde?
Wir helfen den Kunden dabei es zu tun. Unsere Intension ist tatsächlich, unsere Kunden so fit zu machen, dass sie diese Technik für sich selbst nutzen können.
Wir haben hier ein Beispiel, welches wir mit einem Kunden realisiert haben. Es handelt sich dabei um ein sicherheitskritisches Relais. Um das Schaltverhalten dieses Relais während des Betriebs zu simulieren, wurde ein performantes Simulationsmodell mit adäquater Realitätstreue benötigt, wie schon dargelegt.
Detaillierte FEM-Simulationen für den Magnetkreis, Temperatur und Mechanik, werden als Verhaltensmodelle im Ansys-Simulator mit konzentrierten Elementen für die Kinematik und die Schaltung kombiniert.
Phoenix Contact, unser Kunde, hat mit uns den Digitalen Zwilling gebaut, um den Verschleißzustand des Relais im laufenden Betrieb zu erfassen, damit die Lebensdauer genau prognostiziert werden kann. Der konkrete Nutzen ist einfach der, dass der Verschleiß eines Relais in sicherheitsrelevanten Umgebungen rechtzeitig erkannt wird, damit einerseits kein Versagen eintritt und andererseits das Teil nicht zu früh ausgetauscht wird.

Wie haben Sie den Digitalen Zwilling im Haus bei CADFEM organisiert. Wurde dafür eine spezielle Gruppe gebildet, oder müssen das die anderen Mitarbeiter mitmachen?
Das ist ein guter Punkt. Die Komplexität der gesamten Simulation kann nicht eine Person alleine beherrschen. Dazu bedarf es eines Teams, welches fallweise zusammengestellt wird, um die jeweiligen Anforderungen gut abzudecken. Das ist übrigens auf der Kundenseite genau so.

Und dieses Relais ist kein „Messespielzeug“, sondern ein reales Kundenbeispiel?
Dieser Digitale Zwilling wurde mit Phoenix Contact zusammen entwickelt, um verschiedene physikalische Phänomene besser beurteilen zu können, wie die Elektromagnetik, die Strukturdynamik, der Stromfluß, die Temperatur..., mit dem Ziel, das wir oben schon definiert haben.


Christof Gebhardt, Business Development Manager bei der CADFEM GmbH.

Haben Sie denn über diese Studie vom amerikanischen Energieministerium hinaus Überlegungen zu Aufwand und Nutzen gemacht?
Detaillierte Zahlen kann ich im Augenblick noch nicht vorlegen. Dafür ist das Thema noch zu neu. Wir glauben aber daran, dass der Digitale Zwilling eine große Zukunft vor sich hat. Darum haben wir die Sache bei CADFEM auch strategisch positioniert und entsprechend mit Personal ausgestattet, um den Kunden effektiv helfen zu können, sich in diese Richtung zu bewegen.

Herr Gebhardt, vielen Dank für das Gespräch.

www.cadfem.de/Zwilling

- Karl Obermann -

Über CADFEM
1985 gegründet, zählt CADFEM zu den Pionieren der numerischen Simulation auf Basis der Finite-Elemente-Methode (FEM). Mit 11 Standorten, 220 Mitarbeitern und 130 Simulationsexperten in Deutschland, Österreich und der Schweiz ist CADFEM einer der größten europäischen Anbieter für Simulationslösungen, CADFEM unterstützt Simulationsanwender, das Potenzial von Simulation bestmöglich zu nutzen. Als ANSYS Elite Channel Partner setzt CADFEM dabei vor allem auf die technologisch führende Software der ANSYS, Inc. Weil Software allein aber noch keinen Simulationserfolg garantiert, liefert CADFEM alles, was über den Simulationserfolg entscheidet - Produkte, Service und Wissen - aus einer Hand: Führende Software und IT-Lösungen; Support, Beratung, Engineering; Know-how-Transfer.
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