Und hier mal etwas Praxis, gleich hier im Forum:
https://ww3.cad.de/foren/ubb/Forum202/HTML/000648.shtml
Von da an hielt sich längere Zeit der Fachbegriff "Tabellenbuchlotterie".
Ein anderes Beispiel, eine Dampfmaschine, auf Youtube und im Netz findet man z. B. die Stuart No.1, eine sehr schöne Dampfmaschine, die durch ihre Einfachheit besticht und immerhin ein halbes BHP auf die Kurbelwelle wuchtet.
Aber - wie toleriert man jetzt Kurbelwelle und die beiden Hauptlager und auch das Pleuellager? Es soll nicht klappern, die Maschine soll aber auch keine Probleme haben, sich selbst zu ziehen. Man wird um Versuche kaum herumkommen.
Anderes Beispiel, Bronzelagerbuchsen von Mädler, im Katalog steht die Passung, in die man sie einpressen soll, damit sie dann selbst innen die richtige Passung haben. Gemacht. Ob der Hersteller das auch mal probiert hat? Die Passung war mir "nach Gefühl" dann viel zu stramm, ich wollte es "lockerer", also habe ich die Passung in Schritten von 0.01mm lockerer gemacht, bis man das "Wunschgefühl" hatte.
Das kann ich mir in meiner Fertigung leisten, muß aber erst so genau fertigen können, daß ich mich regelrecht durch die Passung hindurchtasten kann und hinterher so genau messen, daß ich meine Toleranzfenster kenne, innerhalb derer ich mich bewegen darf. Das kann ich mir auch nur bis zu einer gewissen Grenze erlauben.
Wenn das nicht geht, kann ich immer noch "sortieren", also mir die Teile vermessen und diejenigen zusammenbauen, die auch "zusammenpassen", das hat den Vorteil, daß ich das Nennmaß nicht so genau treffen muß, aber eine möglichst gleichmäßige Verteilung brauche, es werden also immer Teile übrigbleiben, die keinen Gegenpart fanden.
Um bei der Dampfmaschine zu bleiben, hier muß auch die Oberfläche von Kurbelwelle und Lagerschale stimmen. Klar, das "sieht" man und ansonsten Fingernagel mit dem Ergebnis, daß einem der Schrieb des Tastschnittgerätes nichts mehr sagt.
Nun nehme ich die Fertigung weg. Welche Passung? H7/g6 oder doch f6? Oder gar e6? Muß es die 6 sein oder reicht es eine Klasse "schlechter" nicht auch? Ist ja "nur" eine Dampfmaschine. Hier ginge also tatsächlich das Rätselraten los, es sei denn, ich habe irgendwo versteckt ein Schmuckkästchen, wo Wellen und Buchsen drin sind und ich mal "fühlen" kann. Hat man meist nicht.
Und wenn ich was konstruiere, erwartet "man", daß meine Konstruktion die Abnahme schafft, aber keinesfalls zuviel gekostet hat.
Und wenn ich es wirklich nicht weiß? Da hatten die königlich-bayrischen Motorenwerke schon ein sehr probates Mittel - die einstellbare Passung. Sowas gibt es mit "Laminum" von der Martin-KG sogar heute noch. Man verlagert damit die Verantwortung zum Monteur. Oder - wer es noch kennt - man schabt Lager ein. Dann immer wieder zusammenbauen und wenn die Meßuhr sagt, das Spiel (ähm - wie groß soll das gleich wieder sein?) dann passt, ist man fertig, mit den Nerven bisweilen aber auch.
Weiter - Form- und Lagetoleranzen. Bekannt die heute gängigen Schienenführungen, die Hersteller wollen's ja schon fast handgeläppt. Aber reicht da nicht auch gefräst oder geschliffen? Muß es eine gute Schleifmaschine sein, die es auf 0.002 macht oder reicht eine etwas ältere mit 0.01mm auch?
Nehmen wir an, wir kriegen die Ebenheit hin, der Autokollimator ist zufrieden und das dafür ausgelegte Renishaw-Interferometer (das ich mir allerdings nicht leisten kann) auch. Aber - wie genau hab ich's jetzt eigentlich bearbeitet udn wird die Schienenführung, die ich vom selben Hersteller ein Jahr später kaufe, dieselben Ergebnisse bringen?
Ein letztes Beispiel - Influenzmaschinen. Das sind die Dinger mit meist zwei gegenläufig drehenden Scheiben, wo dann zwischen zwei Stahlkugeln Funken überspringen. Auch hier wird man Versuche machen müssen, meine Wohnzimmer-Influenzmaschine hat mehrere Elektromotere, erreicht also auch richtig Drehzahl. Wie genau also wuchten? Klar, je besser, umso runder läuft die Maschine, aber umso mehr MÜhe steckt man auch rein. Und daß man bei den Versuchen des öfteren eine gesalzene gepfeffert bekommt, ist auch klar, weil ja nicht nur die Konduktorkugeln unter den rund 100kV stehen, sieht man auch sehr gut, wenn man so eine Maschine bei Dunkelheit betreibt.
Nehmen wir also an, wir wissen, das Kugellager kann eine gröbere Passung ab, aber was ist, wenn genau das Teil hinterher öfters kaputtgeht. Dann werden "Sachverständige" im Tabellenbuch blättern und feststellen, der murphy hat da mal wieder bei der Passung viel zu sehr an die Fertigung gedacht. Und schon haben wir den Schuldigen, weil ist ja klar, daß es dann nicht gehen kann.
Genauso wie die beiden Stifterl im eingangs verlinkten Thema. Sieht man ja, daß das nicht gehen kann.
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