Vorweg:
Dieser Thread wird von mir über einen längeren Zeitraum erweitert werden, denn auch wenn das Thema an sich auf eine Maschinensorte und ein Biegeverfahren eingeschränkt ist, ändert das nichts an dem enormen Umfang.
Es gibt genügend gute und frei zugängliche Lektüre zur Thematik, trotzdem werde ich versuchen in straffester Form das Wichtigste aufzuzeigen.
Die Gewichtung liegt darin, die Fallgruben aufzuzeigen, die ein Blechbauteil für den Grossteil der Fertigungsbetriebe "uninteressant" machen.
Am Markt gibt es eine unerschöpfliche Anzahl von Maschinen und Werkzeugen, ständig wird etwas Neues erfunden. Dieser Beitrag kann (und soll) daher weder vollständig noch zutreffend für jede Gegebenheit sein.
Was nachfolgend an biegetechnischen Einschränkungen aufgezeigt wird, gilt typischerweise nicht für die Serien- oder Großserienfertigung.
Dort gibt es ganz andere Möglichkeiten: Üblicherweise werden pro Auftrag die nötigen Sonderwerkzeuge angeschafft, Werkzeugkosten im fünfstelligen Bereich werden im Verhältnis zur eingesparten Arbeitszeit bescheiden ausfallen.
Es gibt einige Umformverfahren für Bleche. Die Beschränkung auf die Gesenkbiegepresse und das Freibiegen erschien mir am sinnvollsten, denn gerade diese Maschinentype ist weit verbreitet und das Freibiegeverfahren ist zur Fertigung recht verschiedenartiger Werkstücke geeignet.
Diese Pressenart mit einem effektiven Arbeitsbereich von meist drei bis vier Metern Länge ist in Handwerksbetrieben mit industrieller Vorfertigung und in den Blechabteilungen mittelständischer Betriebe vorzufinden.
Ein Pluspunkt ist die Flexibilität. Diese wird durch die Austauschbarkeit der Ober- und Unterwerkzeuge erreicht.
Eine Grobeinteilung der zum Freibiegen in der Maschine einsetzbaren Umformwerkzeuge:
Oberwerkzeuge, auch Schwert oder Stempel genannt:
---> gerade Oberwerkzeuge mit kleinen Radien (für dünne Bleche) oder mittelgrossen Radien (für dickere Bleche)
Vorteil: Gerade Oberwerkzeuge halten auch dem höchsten Pressdruck stand
Nachteil: Es können keine „hochbeinigen“ U-Profile damit erzeugt werden
---> gerade Oberwerkzeuge mit grossen Radien (zur Erzeugung grosser Biegeradien)
Vorteil: Gerade Oberwerkzeuge halten auch dem höchsten Pressdruck stand
Nachteil: Es können keine „hochbeinigen“ U-Profile damit erzeugt werden
---> Oberwerkzeuge mit gekröpftem Querschnitt, auch Geißen- oder Rehfuß genannt
Vorteil: Es können innerhalb gewisser Grenzen „hochbeinige“ U-Profile damit erzeugt werden
Nachteil: Durch die formhalber bedingte Umlenkung des Pressdruckes ist dieser Werkzeugform nur eine eingeschränkte Belastung zuzumuten
---> Brückenwerkzeuge
Vorteil: Kann für die Herstellung einteiliger Blechmäntel (Animated GIF/ 2,5 MB) verwendet werden
Nachteil: Formbedingt nur geringe Belastbarkeit des Werkzeuges, meist nur geringe Länge und Blechstärke der Werkstücke möglich
Unterwerkzeuge, auch Untergesenk oder Matrize genannt:
---> Einzelmatrize / Stegmatrize (schlankes Unterwerkzeug, leichte Bauweise)
Vorteil: Gut auszutauschen, da nicht so schwer, wenn ein mehrteiliger gestückelter Satz vorhanden ist, kann leicht „zwischengebaut“ werden
Nachteil: Nur eine einzige Matrize ohne Werkzeugumbau nutzbar
---> Matrizenblock (massives Kombinationsgesenk mit 4 verschiedenen Profilseiten, davon jede Seite mit anderen Matrizenbreiten bestückt)
Vorteil: Beim Abarbeiten des Abkantprogrammes können alle Matrizen der obenliegenden Seite des Kombinationsgesenks genutzt werden, der verfahrbare Werkzeugbalken positioniert das Kombiwerkzeug in Sekundenschelle exakt unter dem Oberwerkzeug. Das Drehen des Kombinationsgesenkes erfolgt durch beidseitiges Anheben mit Halteketten, der Vorgang erfordert 2 Mann und dauert eine knappe Minute.
Nachteil: Nicht stückelbar, keine Möglichkeit des „Zwischenbauens“, das Kombinationsgesenk hat ein hohes Gewicht und ist relativ schwer bzw. aufwändig auszubauen
Ein gut ausgelegtes Kombinationsgesenk kann ohne Probleme 80-90% der anfallenden Umformaufgaben des Bereiches von 1mm bis 6mm Blechstärke abdecken.
Das Ausbauen dieses Allroundwerkzeuges ist möglich, wird aber nur ungern wegen einiger Kleinteile in geringer Stückzahl gemacht.
Man stelle sich einen massiven Vierkantstahl mit einem Querschnitt von ca 120 x 120mm vor, Länge 3500mm bei einem Gewicht von ca. 200 KG, Kaufpreis ca.¤ 14000.- /netto.
Ein solches Stück baut man nicht ein und aus, nur weil ein Blechbauteil unvorteilhaft konstruiert worden ist und die Verwendung von Sonderwerkzeugen erforderlich macht.
Einige Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit an der Gesenkbiegepresse überhaupt gearbeitet werden kann:
---> Einhalten der Mindestlänge einer Abkantung, immer wieder wollen die Leute an 4mm Bleche 6er Kanten anbringen, das geht nicht. (Faustformel: Kantenlänge mindestens ca. 5x bis 6x Blechstärke)
Man kann auch die Kanten vorerst länger erzeugen und nachfolgend kürzen, es sieht aber bisweilen sehr merkwürdig aus, wenn man wegen der Kürze der Kante am Umformbereich ankommt.
---> konstruktive Gewährleistung der Nutzbarkeit des Maschinenanschlages (sieht am PC schön aus, wenn ein schräges Blech um die Ecke verwunden schräg gekantet auf eine sich zweifach verjüngende Schräge trifft, lässt sich nur oft nicht herstellen)
---> kollisonsfreies Arbeiten: Das Werkstück darf beim Umformvorgang weder mit sich selbst, noch mit Teilen der Werkzeuge Kontakt haben, der zu unerwünschter Verformung bzw. Verbeulung führt
Wenn die Werkstücke dann auch noch schön aussehen sollen, dann gibt es noch mehr zu beachten:
---> Am Bildschirm ist es egal, aber in der Praxis leider nicht: Es muss genügend Material im gesamten Umformbereich vorhanden sein!
Wenn innerhalb dieses Bereiches Durchbrüche, Löcher oder Ausklinkungen sind, verziehen sich diese auf das Unansehnlichste.
Fast noch schlimmer ist der Versuch, einen schrägen, einseitig auf Null auslaufenden Lappen zu erzeugen: Im CAD System geht das, an der Maschine aber nicht.
Hier muss (wenn möglich) mit einer Bearbeitungszugabe gefertigt werden, nach dem Erstellen der geraden Kante wird diese schräg abgeschnitten.
---> Am Bildschirm gibt es keine instabilen Bauteile, in der Fertigung kann das zum Problem werden. Ein labbriges Gerippe, das vor lauter Ausbrüchen kaum noch zusammenhält, ist ebenso ungünstig wie eine schwere Platte, die nur noch mittig durch zwei hauchdünne Stege verbunden ist.
Weitere Beispiele folgen.
Gruss Andreas
Editiert am 31.3.08: Darstellungen der Abkantwerkzeuge teilweise ersetzt
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