Nur: Warum ist für so etwas "Nebensächliches" wie ein Umreifungsband ein CAD-Modell nötig?
Das Thema an sich hat sich wohl erledigt, für die noch offene Frage von Hr. Dr. Schröder müssen wir eine Zeitreise machen.
Das Ingenieurbüro von Hr. Dr. Schröder, das auf Entwicklungsarbeiten fokussiert, ist ein sehr seriöses Unternehmen, entsprechend ist auch der Raum gestaltet, in dem die Kundengespräche stattfinden, einige Produktbilder an der Wand, einige reale Teile im Schrank hinter Glastüren. Dann noch ein Monitor, damit man CAD machen kann. Nicht zuwenig, aber auch nicht ein Detail zuviel.
Doch diesem Raum fehlt – das Besondere, bekannter als der Boah-Effekt.
Es ist klar, es muß etwas ganz Besonderes sein, etwas, was nicht jeder hat. Nach kurzer Suche ist klar, eine Zeitmaschine im Maßstab 1:1 passt optimal hin und hier die Time-Machine-II. Auf Youtube findet man auch ein Video, wie man sich sowas baut:
https://www.youtube.com/watch?v=QKwhc52LxMo
Allerdings haftet diesen Maschinen wie allen anderen der Makel an, daß sie im Ruf stehen, nicht zu funktionieren. Damit kann man also recht gut überdurchschnittliches handwerkliches Geschick beweisen, aber beim Ingenieurbüro sollte die Funktion nicht minder wichtig sein.
Die Zeitmaschinen wurden so um das Jahr 1899 erfunden, zum Glück aber wurde 21 Jahre vorher eine andere Maschine erfunden, die optisch nicht minder was hergibt und funktioniert – die Wimshurst Influenzmaschine.
Kann man auch selber bauen. Genau das hat auch der Erbauer meiner mehrmotorigen Wohnzimmer-Influenzmaschine auch gemacht, ihm waren die selbst heute noch preiswert käuflichen und handbetriebenen Labormaschinchen viel zu leistungsschwach.
Als sie seinen Vorstellungen genügte, sah er über 40 Jahre lang keine sinnvolle Anwendung für eine Maschine, die fast aus dem Nichts rund 100kV bereitstellen kann. Diese Anwendung hingegen sah ich sofort, Bewegungsmelder und metallene Türklinken im Blickfelde, meine Dauerknatscherei mit einem Personenkreis mit erheblichem Höflichkeitsdefizit im Hinterkopfe. So kaufte ich ihm dieses Unikat und Antiquität umgehend ab, da er sie sowieso veräussern wollte.
Da ich sie nicht sofort abtransportieren konnte, stand sie einige Stunden im Eingangsbereich unserer Firma und war sofort ein Besuchermagnet.
Später erschien sie mir gut geeignet, das mit der neuen CE-Doku an ihr einzuüben. Das klappte weitgehend auch, wenngleich das Ausmessen der Kennfelder für die Ermittlung der Grenzen der Maschine bei 100kV nicht mehr mit einem handelsüblichen Multimeter geht. Richtig problematisch wurde es bei der Ermittlung einer realistischen Risikokennziffer. Auf die eigentlich dafür vorgesehenen Unhöflichen brauchte ich nicht mehr zu zählen, die hatten sich vorher mit meinen damaligen Arbeitszimmer-Großhornissen tierisch in die Wolle bekommen. Die respektablen Tiere fühlten sich nicht angemessen respektiert, achteten darauf, keine stichhaltigen Beweise zu hinterlassen.
Das Entwicklungsbüro des Hr. Dr. Schröder möchte etwas Besonderes, eine richtige Influenzmaschine mit Scheibendurchmessern von nicht nur 30cm, sondern deren 1.80m. Und auch nicht nur ein Scheibenpaar, sondern deren zwei.
Doch auch so eine Maschine kommt wegen der parasitären Entladungen kaum über die 100kV, was dann für einen Funkenstrecke von 10cm reicht. Für so eine große Maschine nicht überzeugend, doch gerade das möchte man erreichen.
30cm müssten die Lichtbögen zwischen den Metallkugeln schon ziehen, das würde die Bonetti-Bauweise durchaus schaffen, aber die gibt optisch nichts her, bei sorgfältigem Bau sieht man ihr nichtmal an, wenn sie läuft. Und das ist der große Vorzug der Wimshurst, man sieht sie arbeiten.
Erste vorsichtige Kalkulationen lassen ahnen – so eine Maschine wird teuer. Also wendet man sich an einen der Fachbetriebe, die sowas regelmäßig bauen, auf Kundenwünsche eingehen. Murphy‘s Maschinen genießen Weltruf und sind bei denen berüchtigt, die von so einer schon eine Gesalzene gepfeffert bekamen.
Das Entwicklungsbüro beschreibt, was man möchte und was man beabsichtigt. Die Firma schickt einen Fragebogen, was man alles möchte und welche Abmessungen. Wie groß die Türen sind, wo später alles hindurch muß. Und man kann gleich einen Termin machen, wo man vor Ort alles bespricht, sich die Sachen auch live anschauen kann.
Also fährt man hin, im Empfangsraum steht schon so eine mächtige Maschine, doch vorher geht man durch die Fertigung, Reinraumbedingungen herrschen hier in der Montage. Auf dem Prüfstand auch eine Maschine passender Größe, sie zeigt gerade, was sie kann. Dann in den Besprechungsraum, man legt fest, was man alles an Extras möchte oder sogar zwingend braucht.
Bei zwei Scheibenpaaren muß sichergestellt werden, daß die Polarisierung beider Paare gleich ist, sonst arbeiten sie gegeneinander, man braucht eine Startmechanik. Den Abstand der Konduktorkugeln will man sicher im Betrieb verstellen können, aber zu nahe hingehen sollte man nicht, zumal auch viele Teile der Maschine ebenfalls unter Spannung stehen. Dann die Neutralisatoren, je nach Einstellung gibt es mehr Spannung oder mehr Ladungsmenge.
Ein 3d-Projektor zaubert ein Hologramm in den Raum, im Maßstab 1:1, kann die fiktive Maschine sogar in Bewegung zeigen und die Schatten in Echtzeit zeigen. Zigmal wird die Maschine daher kopiert, bis man sie endlich „im Kasten“ hat. Bestellt.
Aber wenn man schon mal da ist, interessiert man sich auch für‘s CAD und die Dateiorga, denn das mit den Konstruktionskopien ging ja doch verdächtig schnell.
Der Kunde erfährt vor Abreise schon seinen voraussichtlichen Liefertermin und wann das Montageteam kommen wird, um alles für die Aufstellung vorzubereiten. So tut man gut daran, den Raum als Faraday‘schen Käfig auszuführen und Absperrungen zu haben, damit niemand einer laufenden Maschine zu nahe kommt. Hier wird man eine Kette machen, deren korrekte Anbringung man überwacht und auch deren Hintersteigen.
Was der Kunde nicht gesehen hat, hier ist nicht nur die Produktkonstruktion ins CAD eingebunden, sondern auch alles, was danach für die Fertigung kommt, selbst das CAM geht die Parametrik mit. So spielt es fast keine Rolle mehr, wie groß die Kundenmaschinen sind und wie sie konfiguriert wurden.
Da dies eine Maschine ist, bei der es auf Aussehen ankommt, muß sie perfekt verarbeitet sein, alles Metallene auf Hochglanz poliert, die Scheiben aus echtem Plexiglas, das eben nicht mit der Zeit gelblich wird und dafür sehr kantenempfindlich ist.
Wenige Wochen später schon ist der Abnahmetermin. Der Kunde reist nochmal an, sieht sich zuerst die Doku an, schließlich schadet es nicht, wenn man schaut, wie andere das machen. Wie wurde eigentlich die Risikokennziffer ermittelt. Dafür gibt es Erfahrungswerte.
Dann Prüfstand, die Lichter sind so angebracht, wie es auch später sein wird. Mit bösem Knurren setzt sich der Motor in Bewegung, die Startmechanik für die Scheibenpolarisierung fährt in Arbeitsstellung und gleich wieder weg, während die Plexiglasscheiben an Drehzahl gewinnen. Eine Münze hochkant hingestellt, darf nicht umfallen.
Die Spannung steigt nicht nur in den Leydener Flaschen, die Elektroskope schlagen aus, der Zeiger des Voltmeters im antiken Design erreicht fast 400kV, jetzt verringern die Konduktorkugeln den Abstand und die ersten Entladungen erfolgen, rasch haben die Scheibenpaare die Kondensatoren wieder aufgeladen. Nun Lichter aus, man sieht das Spiel der parasitären Entladungen.
Die Maschine erfüllt, was im Pflichtenheft steht, bekommt die Abnahme. Nun muß sie abgebaut werden, zum Kunden transportiert und dort wieder aufgebaut.
Nun teilen wir die Geschichte in zwei Szenarien auf.
Im ersten ist auch der Abbau und Versand geplant, das CAD hat die Transportkisten passend mit gemacht, alle Einlagen und sogar die Positionen der Umreifungsbänder nebst Klammern. Kein Raten in der Versandabteilung, es ist klar, was wohin muß. Und da das CAD auch sagte, wieviel Band man brauchen wird, wurde genug davon reserviert oder nachbestellt.
Planmäßig fährt der Lastzug los, der untergehenden Abendsonne entgegen. Vor Ort wartet schon das Montageteam, das genau weiß, welche Kiste wie aufgeht und welche Werkzeuge man braucht und in welcher Kiste die sind.
Die Montage verläuft planmäßig.
Im anderen Szenario werden die Maschinenteile in die Versandabteilung gefahren, die muß nun selber schauen, was sie wie verpackt. Ein Teil nimmt dabei Schaden, muß nachgefertigt werden, der Kunde vertröstet. Und da das Umreifungsband aus Kunststoff nicht reicht, muß eben das aus Metall ran, von dem man genug hat.
Vor Ort muß das Montageteam schauen, wie kreativ die Kollegen vom Versand waren, wo sie Schrauben versteckt haben. Die Zange zum Aufzwicken der Metallbänder fehlt, man weiß auch nicht, wo man die öffnen soll, also fängt man an zu sägen. Wirkt das professionell? Auf den letzten Metern eines Projekts?
Der Mehraufwand, sich auch die Kisten und Zubehörteile in die Parametrik mit einzubinden, ist vergleichsweise gering im Vergleich mit dem Ärger, den man sich hier einhandeln kann. Vor allem ist dann alles in Stücklisten und durchläuft routiniert das Bestellwesen.
Vielleicht ist es jetzt klarer, warum man sich selbst solche Nebensächlichkeiten spätestens bei der Variantenkonstruktion mitmachen sollte. Ein Universalband habe ich auch nicht, ein paar Vorlagen für die vorkommenden Fälle reicht. Und bei der Variantenableitung werden die mitkopiert und ändern ihre Abmessungen.
Meine eigene Influenzmaschine hat nach wie vor keine CE, Hornissen im Wohnhaus erst vor 3 Jahren wieder und erneut konnte ich keine einzige von CAD und CAM überzeugen, wobei dieses Volk erst verspätet zu mir kam, die Königin (Vespa Crabro Germana Royal) wollte vorher einen Naturschützer erfreuen.
Die Zeit für den langen Text hatte ich, weil nebenan der 3d-Drucker eine neue Druckplattform bekommen hat. Funktionsteile zu drucken, ist etwas schwieriger als Vitrinenteile. Und da bleibt man dann eben eine Weile dabei und schaut zu. Später läuft eine Kamera mit, damit man besser sehen kann, wo Probleme (z. B. Warping oder Stringing) auftraten.
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