Also für die verregnete/verschneite Mittagspause erzähl ich euch jetzt einfach mal eine Geschichte, wie sie sich in meine Wahlheimat Spanien, genauer gesagt in Andalusien zugetragen hat. Ihr sollt doch mal sehen wie das Leben woanders so spielt und wie man da mit der Bürokratie umgeht…
Vor ein paar Monaten brauchte ich für die Versicherung eine Bescheinigung, dass ich auch tatsächlich auch da gemeldet bin wo ich wohne.
Schwierig.
Ich war nämlich vier Jahre zuvor umgezogen, aber sowas wie “ummelden” verschiebt man ja schon mal gern. Immer wieder. Vorallem wenn es ewig dauert, wie ich ja wusste, und man ca 1000 Formulare ausfüllen muss.
Diesmal musste es aber sein. Und zwar möglichst schnell.
Mein Freund meinte auch, gute Idee, wird langsam Zeit, er meldet sich dann auch gleich um (immer noch bei den Eltern gemeldet).
Wir also Freitag früh aufs Rathaus. Ja, kein Problem, ich kann mich doch bei ihm melden – dann brauche ich nicht die hunderttausend Extraformulare wie andere Ausländer. Er will sich ummelden – ja, auch gar kein Problem, dauert 5 minuten. Machen wir zuerst.
Wo er denn jetzt gemeldet ist. Bei seinen Eltern. Wo sind die gemeldet.
Tja, an einer Adresse wo der über 80jährige Vater bis vor ca 70 Jahren gelebt hat – also ganz woanders - und vor allem einer Adresse die seit ca 30 Jahren nicht mehr existiert.
(Jetzt wissen wir auch warum seine Mutter jedes Jahr einen sehens- und hörenswerten Aufstand auf dem Rathaus veranstaltet, weil die unfähigen Beamten dort aber wirklich jedesmal die Steuerbescheide und die Wahlunterlagen usw verschlampen und die nie bei ihr ankommen und sie deshalb auch keine extra Bearbeitungsgebühr für die Kopien zahlt)
Gut, irgendein Gewurschtel, Ergebnis: das beste ist jetzt, erst mal die Eltern samt meinem Freund an der richtigen Adresse zu melden.
Danach kann erst umgemeldet und ich mit angemeldet werden. OK. Man braucht folgende Unterlagen: Ausweis vom Vater, Ausweis von der Mutter, ausgefüllte und unterschriebene Anträge. Nein, die Eltern brauchen nicht persönlich zu erscheinen.
Wir also zu seinen Eltern, Unterschriften und Ausweise holen, wieder aufs Rathaus zu Pepi, (wir sind ja bereits per Du mir der Dame am Schalter, man kennt sich schliesslich von vorhin).
Pepi jedenfalls stellt fest, dass auf dem Ausweis vom Vater sowohl der Nachname falsch geschrieben ist, als auch das Geburtstdatum nicht mit dem in den Unterlagen vom Rathaus übereinstimmt.
Was machen wir denn da. Dumme Geschichte. Die Aussage meines Freundes, der schliesslich weiss wann sein Vater Geburtstag hat und wie er heisst, reicht da nicht. Pepi glaubt uns jedes Wort, braucht aber leider etwas handfestes, was sie als Kopie an den Antrag tackern kann. Sonst geht der nie durch. Wir brauchen die Geburtsurkunde.
Wieder zu den Eltern… Geburtsurkunde. Haben sie nicht. Nein, wirklich nicht. Er hatte die soweit er sich erinnern kann auch nie, die muss aber doch von der Kirche jemand haben, oder auf dem Rathaus, oder so.
Na gut. Geboren ist der wie gesagt vor knapp hundert Jahren, und zwar in einem kleinen weissen Dörfchen oben in den Bergen.
Es ist mittlerweile Freitag Nachmittag, Pepi hat längst Feierabend, und damit höchstwahrscheinlich auch ihre Kolleginnen und Kollegen in dem kleinen weissen Dörfchen – sofern sie da überhaupt Kollegen hat, was wir noch herausfinden müssen.
Wir rufen also eine Bekannte an, die, wie wir wissen, im Rathaus der nächsten Stadt arbeitet (die Tochter einer Arbeitskollegin der Schwester von meinem Freund hatte dann ihre Nummer). In dem 20minütigen Telefonat erfahren wir eine ganze Menge, unter anderem auch das was wir wissen wollen.
Die gute Nachricht ist, das kleine weisse Dörfchen hat tatsächlich ein eigenes Rathaus, das unter der Woche Vormittags geöffnet ist.
Die schlechte erfahren wir auch von ihr, nämlich, dass das Beantragen und Erhalten von verlorenen Geburtsurkunden, gerade aus der Zeit, und noch dazu auf dem Dorf, 6 Monate oder länger dauern kann. (abgesehen vom ummelden bzw überhaupt melden danach, da können auch noch Wochen ins Land gehen.)
So viel Zeit haben wir nicht. Ausserdem haben wir uns ja genau an diesem morgen wirklich dazu entschlossen, uns ordnungsgemäss zu melden – an uns liegts also ganz bestimmt nicht.
Wir sind energisch zur Tat geschritten, haben einen arbeitsreichen Vormittag mit Pepi verbracht - und wir wollen Resultate sehen.
Pepi hat übrigens zwei Kinder (4 und 7, goldige Kerle, vor allem wie der kleine auf dem dritten Foto lacht, also allerliebst), sie kauft im gleichen Supermarkt ein wie ich (es ist ja wirklich alles viel teurer geworden), und kennt unsere Nachbarin schon seit ihrer Schulzeit (was die zwei damals alles angestellt haben – einfach köstlich!) Und jetzt 6 Monate warten?
Wir sind also sehr enttäuscht, und ich meine, es bleibt wohl nichts anderes übrig als irgendwann unter der Woche in das kleine weisse Dörfchen zu fahren, eine Kopie der Geburtsurkunde zu beantragen, und zu hoffen.
Mein Freund gibt sich aber nicht so schnell geschlagen. Erst machen wir noch ein paar Anrufe. Und jetzt kommt die Maschinerie, die hier bei uns eigentlich alles am Laufen hält, erst richtig ins Rollen.
Der Arbeitskollege meines Freundes glaubt sich zu erinnern, dass sein Nachbar auch aus dem kleinen weissen Dörfchen kommt. Er spricht gleich mal mit ihm und ruft uns zurück. Ein paar nachbarschaftliche Bierchen später werden wir zurückgerufen und erfahren: Ja, der Nachbar kommt auch daher, ist aber seit der Kindheit nicht mehr dort gewesen. Die Frau des Nachbarn kennt aber eine andere Frau, deren Tochter mit ihrer Tochter in den Kindergarten geht.
Der Mann dieser Frau ist auch aus dem Dorf. Der Nachbar schaut ob er die Nummer über eine ehemalige Arbeitskollegin herausbekommen kann und ruft uns dann an…
(Ab da hat mein Freund dann allein weitergemacht, weil ich nochmal ins Büro musste, war ja den ganzen Vormittag nicht dagewesen. Spät heimgekommen, nicht weiter nach dem Stand der Dinge gefragt).
Samstag morgen dann verkündet mein Freund, dass wir heute in die Berge fahren, irgendwo gemütlich anhalten und ein paar Tapas essen, vielleicht noch spazieren gehen. Wunderbar. Nach dem ganzen Stress am Vortag genau das Richtige.
Ich frage nach dem Stand der Dinge. Der Zusammenfassung von ca 50 Telefonaten, die mein Freund tags zuvor noch geführt haben muss, entnehme ich, dass der Bruder des Mannes der Frau mit der Tochter im gleichen Kindergarten wie die Tochter des Nachbarn des Arbeitskollegen meines Freundes, ein alter Schulfreund des Sohnes oder Neffen des Friedensrichters des kleinen weissen Dörfchens ist.
Wir kennen den Friedensrichter also persönlich.
Na, das lässt doch hoffen, dass das ganze etwas schneller abgewickelt werden kann.
Froh über die gute Nachricht, machen wir uns auf dem Weg in das Dörfchen – einfach um es uns mal anzusehen, nicht, wie ihr vieleicht denkt, um aufs Rathaus zu gehen und mit dem Namen des Friedensrichters zu protzen.
Schliesslich sind Rathaus-Öffnungszeiten in Stein gemeisselt, und Samstag hat das Rathaus zu. Selbst für so gute Bekannte wie uns.
Und unter der Woche wird ja wohl auch kaum Zeit sein, beim hektischen Behördengang noch einen gebührenden Blick auf den Geburtsort meines Schwiegervaters zu werfen.
Ein kurzer Blick reicht aber eigentlich auch. Ein malerisches kleines Nest.
Wir laufen die Dorfstrasse hinunter (im wahrsten Sinne des Wortes, Gefälle gefühlte 80%) auf der Suche nach der Kneipe wo wir unsere Tapas kriegen.
Rechts und links die würfelförmigen weissen Häuschen, mit Blumen an den oberen Fenstern und offenstehenden Eingangstüren, die nur teilweise mit Vorhängen und Rolläden geschlossen sind – wer schon mal in Andalusien war, kennt das bestimmt.
Die Türen führen, wie man sehen kann, direkt in kleine Wohnzimmer, und wie immer sitzen mehrere Frauen samt Wohnzimmersessel auf der Strasse vor ihren Türen, und schauen entweder nach innen auf ihre Fernseher oder unterhalten sich mit der Nachbarin im Sessel eine Tür weiter – oder auch fünf Türen weiter. Wir werden ebenfalls genauestens beobachtet.
Ein paar der Türen führen auch in kleine Läden. Schilder oder gar Schaufenster haben die Läden nicht, sehen genauso aus wie die anderen Häuser – in einem so kleinen Dorf ist das wohl auch nicht nötig. Es gibt schliesslich nur je einen Metzger, Bäcker, usw und es weiss auch jeder wo die sich befinden. Selbst bei geschlossenem Vorhang.
Wir kommen auch an einem Friseur vorbei. Das heisst, ich gehe vorbei, mein Freund geht rein. Er hat anscheinend jemand gesehen den er kennt (man kann ja auch wirklich nirgends mit ihm hin, ohne dass er irgendjemand kennt) aber so genau kann ich das nicht beurteilen von aussen – ich passe in den Laden nicht mit hinein.
Ich warte also draussen und höre Gesprächfetzen – Namen hauptsächlich, und wie es dem geht und was die jetzt eigentlich macht, und ja, wir schauen uns das Dorf an, und schönes Wetter und so weiter.
Nach ca 10 Minuten kommt mein Freund dann mit der Geburtsurkunde aus dem Laden.
HA. Da hatte ich unsere Beziehungen ja wieder mal ganz gewaltig unterschätzt. Ich muss halt noch viel lernen, habe nach all den Jahren noch immer nicht ganz kapiert wie das System funktioniert.
Ein Dokument auf das andere uneingeweihte 6 Monate lang warten, haben wir am nächsten Tag. Der Friedensrichter und gleichzeitig Friseur des kleinen weissen Dörfchens ist schliesslich einer unserer engsten Freunde.
Als wir die Tapabar finden, stellen wir fest: die Kunde ist uns, via Hausfrauenklatsch die Strasse runter, schon vorausgeeilt und wir werden von der Wirtin, einer Tochter des Friseurs, zu einem Bierchen eingeladen. Da soll doch mal einer sagen, dass wir keine wichtigen Leute kennen.
Am Montag haben wir dann noch unsere alte Freundin Pepi auf der Arbeit besucht, und ihr bei der Gelegenheit auch gleich die Geburtsurkunde vorbeigebracht.
Und nicht nach mehreren Wochen, nein, schon nach 2 Tagen waren unsere Papiere dann fertig.
So läuft das hier nämlich. Ruck zuck.
Pepis Mann kennen wir übrigens vom sehen aus unserem Lieblingscafe, (jedenfalls hat uns der Wirt, einer aus der Fussballmannschaft von meinem Schwager, gesagt, dass das der Mann von der Pepi aus dem Rathaus ist)
Auf jeden Fall stehen wir ab sofort mit ihm auf Grüssfuss. Der arbeitet nämlich bei der Post…
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Liebe Grüsse, Marita
Wessen wir am meisten im Leben bedürfen ist jemand, der uns dazu bringt das zu tun, wozu wir fähig sind. Ralph Waldo Emerson (1803-1882)
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