Sua quisque fortune faber est.
Alle Technologiefelder unterliegen dem Wandel, so habe ich noch gelernt, Leiterplattenvorlagen auf Rasterfolie mit Abreibesymbolen zu kleben, heute schicke ich das CAD-File zu nächtlicher Stunde per Mail auf die Reise.
Als ich lernte, programmierte man noch EPROMs, heute "flasht" man Microncontroller per USB.
Und würde ich noch so zeichnen, wie ehedem gelernt, müsste ich meine Tuschefüller wieder hervorholen. Statt dessen arbeite ich zumindest in meiner zweiten Schicht seit über 10 Jahren ganz ohne Zeichnung.
Je nach u. U. auch vollständig selbst finanziertem Projekt werden verschiedene Arbeitsweisen eingesetzt, also von diesem einen Extrem, das seit über 10 Jahren eigentlich Stand der Technik ist bis hin zur voll bemaßten Zeichnung.
CAM ist weit mehr als ein Programm, es ist eine Werkzeugkette. Der Grund für die mäßige Verbreitung hat seinen Grund im Anspruch an den Anwender, er muß das unterbauende CAD als Werkzeug mindestens genauso gut beherrschen wie der Konstrukteur und er muß die Maschine kennen mitsamt der eingesetzten Technologie. Die EDV-Administration, oftmals mit den parametrischen CAD-Systemen an der nervlichen Grenze, wird jetzt endgültig vor eine Herausforderung gestellt.
Sehen wir uns nun die zwei Abläufe als Extrema an, zunächst die rein zeichnungsbasierte Arbeitsweite, diese mache ich als Konstrukteur in der ersten Schicht.
Eine Kundenanfrage hat eine Konzeptstudie zur Folge, im Regelfall wird ein Konzept dann zur Ausführung entschieden. Jetzt entstehen ipt's und iam's, es wird geändert, verworfen und entschieden, es wird gerechnet. Am Ende werden die idw's abgeleitet, jede Einzelteilzeichnung wird vollständig bemaßt, sie gilt fortan als pdf als verbindliches Kommunikationsmittel. Die Aufgabe ist erledigt, wenn alle Teile mitsamt Stammdaten auch im Planungssystem angelegt sind, die Stücklisten erfasst und eine Abhakliste ausgefüllt, die sicherstellt, daß man nichts vergessen hat.
Die Zeichnungen durchlaufen nun die offizielle Freigabe, eher eine Formsache, denn Fehler wurden hier noch nie gefunden, allenfalls ein paar Regelverstöße gegen Normen. Nun wird etnschieden, wer die Teile macht, wegen der Zeichnungen ist es egal, ob interne Kapazitäten genutzt werden oder extern vergeben wird, Anfragen, Angebote und Aufträge.
Beim Auftragnehmer wird der Auftrag in die Pipeline gestellt, ist er an der Reihe, wird die Arbeitsvorbereitung tätig, sie druckt die Zeichnungen aus, legt Material und Werkzeuge fest, bestellt gegebenenfalls. Eine eigene Gruppe erstellt die CNC-Programme.
Erneut Pipeline, dann laufen (theoretisch) Material, Werkzeug und Programm und auch die Papierzeichung an der Maschine zusammen, das Teil wird gefertigt, der Mitarbeiter an der Maschine hat nur noch sehr eingeschränkte Eingriffsmöglichkeiten.
Das oder auch die von ihm fertiggestellten Teile kommen in die Kontrolle, je nach Vereinbarung werden auch alle Zeichnungsmaße geprüft. Das heisst im Umkehrschluß, ich muß in die Zeichnung die Maße eintragen, die ich am Werkstück brauche, nicht die, die den Programmierern genehm sind.
Das Teil kommt nun bei uns in Wareneingang und Logistik, dort ist man seit einiger Zeit am Überlegen, ob man nicht eine 100%-Kontrolle aller Maße anhand der Zeichnung einführt, denn sonst fallen Fehler erst bei der Montage oder noch schlimmer Abnahme auf.
Das Planungssystem überwacht den termingerechten Eingang aller nötigen Teile. Aber - wieviel Zeit ist eigentlich vergangen, seit ich die Zeichnungen fertig gemeldet habe? Im Regelfall 4-12 Wochen.
Haben alle gut gearbeitet, wird die Montage keine Probleme machen, ist es ein Eintwicklungsprojekt, wird man Versuche machen und den nächsten Redesignzyklus in die Wege leiten, also Konstruktionsänderung, neue Teile mit Vergabe usw. Hat die Montage Probleme, muß sie den Änderungsprozess anstoßen....
Im Falle der Entwicklungsprojekte kopiere ich mir die betroffene Baugruppe, freue mich, daß IV und das Planungssystem das so gut können, ändere ein paar Masterskizzenparameter, IV radelt eine Weile und nach relativ kurzer Zeit können auch alle idw's aktualisiert werden. Für mich wäre die Welt jetzt in Ordnung, aber es kommt die Frage, welche Teile müssen neu bestellt werden, die Maschinenprogrammierer wollen wissen, welche Maße sich geändert haben.
Mit einigen einfachen Tricks läßt sich das durchaus mit vertretbarem Zeitaufwand herausfinden, die zugehörigen Maße auf den idw's farblich hervorheben. Wenn allerdings der projektleitende Kollege mit meiner Konkurrrenz auf anderem Gebiete sympathisiert, kriege ich genau jetzt ganz besonders schlimme Migräne und er diesen freiwilligen Service nicht.
Die Zulieferer sagen, daß sie sehr häufig vor diesem Problem stehen, sie bekommen neue Zeichnungen, müssten dann alle Maße selber kontrollieren und erstellen nun lieber gleich neue Programme. Früher bei ACAD oder Tuschefüller wußte man noch, wo man änderte, mußte das aber in allen Ansichten korrekt tun und konnte es dann gezielt im Schriftfeld vermerken.
Der Vorteil des zeichnungsbasierten Systems ist daher die Flexibilität bei der Lieferantenauswahl, die Zeichnung hat Dokumentencharakter, sie spricht eine einigermaßen einheitliche Sprache. Nachteil ist der Aufwand zu ihrer Erstellung und nachfolgend Interpretation. Die Fehlerrate ist selbst bei gewissenhaften Lieferaten um ein Vielfaches höher als bei CAM-Fertigung, deswegen dei Überlegung der 100%-Eingangskontrolle Und Fehler in der Konstruktion....
Völlig unbeachtet bleibt in diesem Zusammenhang die mit gefährlichste Fehlerquelle, ganz am Anfang, wenn z. B. die Bauraumvorgaben oder Pflichtenheftvorgaben schon falsch sind. Und das waren auch dieses Jahr keine Einzelfälle mit dem Potential, ganze Projekte zu kippen, jedoch ist die Bereitschaft, hier anzusetzen faktisch nicht gegeben.
Sehen wir uns nun das andere Extrem an, die sog. "zweite Schicht", hier sind es eigene Projekte. Wieder Konzepte, Enscheidung für eines, wieder Berechnungen und Annahmen, die erst später im Versuch iterativ konkretisiert werden können. Es entstehen wieder iam's und ipt's.
Hier sind vielfach schon vor über 10 Jahren an die Stelle von Normen eigene Regeln getreten, die Mitte-Toleranz-Regel zum Beispiel. Ebenso die Codierung von Bearbeitungsverfahren wie Einsatzhärten und nachfolgendes Schleifen.
Die CAM-Werkzeugkette beginnt also bereits hier, das CAD-Modell beschreibt das spätere Werkstück, der Konstrukteur muß sich also von Gewohntem lösen. H7 gibt es nicht, es gibt nur "7" als Toleranzfeldbreite.
Sind die ipt's fertig, gibt es keine Zeichnung, auf die ipt setzt direkt das CAM auf, läuft es modellassoziativ im Inventor, macht es später eine ganze Reihe parametrischer Modelländerungen auch mit.
Um die ipt kommt eine weitere transparente, neuerdings geht ja auch Multibody, die das Rohteil darstellt, hat man hier einmal sich die Parametrik erarbeitet, springt IV von selbst von lagernden Materialgrößen zur nächsten, wechselt also z. B. von 120mm Rundmaterial zum 150mm, wenn sich später das Werkstückmaß ändern sollte. Das Rohteil kann durchaus ein Gußteil sein mit Beabeitungsuzugabe sein.
Beides kommt nun in eine Vorlagen-iam, die den Maschinenraum nachbildet, alle Spannmittel bereithält, man sie sich nur noch wählt. So hat man z. B. alle Unterlegleisten und dauch deren Kombinationen direkt greifbar.
Passt das Rohteil nicht mehr ins Spannmittel, bei Drehfuttern sieht man z. B. nicht gleich, wenn die Planspirale schon an der Grenze ist, dann mault IV.
Manuelle Programmierer wählen den Werkstücknullpunkt (oder deren mehrere) so, daß des für die weitere Programmierung günstig ist, muß aber danach dafür sorgen, daß dieser Nullpunkt auch der Maschinensteuerung mitgeteilt wird. Macht man hier Fehler, wie ich einmal an der eigenen Maschine und fährt das Werkzeug im Eilgang zu weit runter, dann waren hier ein Fräser und zwei Schraubstockbacken im Gesamtwert von 500 Euro hinüber und sowas kann noch wesentlich übler enden.
Da der CAM-Progammierer nicht mehr darauf angewiesen ist, kann er den Nullpunkt auch nach anderen Kriterien festlegen, ich selbst habe inzwischen ein System, das die Maschinensteuerung abfragen kann und die Programmausführung verweigern.
Das eigentlich für einen anderen Zweck gedachte Pic hier zeigt das, ist auch nicht neu:
http://ww3.cad.de/foren/ubb/uploads/murphy2/Lavalampen.JPG
Bis jetzt sind fünf Minuten vergangen, ich kann anfangen, die einzelnen Bearbeitungen aufzusetzen.
Hier kann ich entweder einzelne Bearbeitungsaugaben machen, Strategieen auswählen oder ganze vorbereitete Bearbeitungsgruppen verwenden. Schnittwerte manuell eingeben oder man sich einer materialbezogenen Prozessdatenbank bedienen, so man sich die aufgesetzt hat. Es kann hier durchaus sein, daß ich eine bestimmte Werkzeugstandzeit brauche und nicht auf ein Schwesterwerkzeug ausweichen will, dann eben die Schnittwerte entsprechend zurücknehme.
Wenn ich nun H7 für die erste Eindrehung am Dodecaeder im Bild möchte, kann der durchaus auf 40,0 modelliert sein und der Maschinenprozess mir den Offset machen, muß mir das aber visuell codieren, daß das kein Freimaß ist. Alternativ Modell auf Mitte Toleranz und einen Prozess gewählt, der das zulässige Fenster einhält. In meiner Verantwortung bleibt die korrekte Werkzeugvermessung, es ist kaum bekannt, daß z. B. Fräser nicht selten nach e8 geschliffen sind.
Das heisst, daß ich mich im Falle des Maschinenprozesses nicht mehr um Eintauchstrategie, die Art des Ausräumens mit Zustellstufen usw. kümmern muß, auch nicht um den Werkzeugwechsel und die Schnittwertee. Nachteil dieser Methode ist, daß die Programme nicht zeitopitmal laufen werden.
Jeder Schritt für sich und alle zuletzt können mit verschiedenen Simulationsverfahren geprüft werden, so auch, ob nicht nicht ein Werkzeughalter mit einem Spannmitel oder dem Maschinentisch kollidiert. Habe ich auf Mitte-Toleranz modelliert, kann ich heranzoomen und schauen, ob es tatsächlich keine Konturverletzung gibt, bei der Offsetmodellierung habe ich Restmaterial oder Konturverletzung.
Fehlt mir Geometrie wegen z. B. einer anderen zu erstellenden Beabeitung, steht mir das CAD zur Verfügung, mir diese Geometrie wieder zu skizzieren. Oftmals reicht der Klick auf die Bodenfläche oder ein Konturelement einer Geometrie, damit das CAM den Rest zusammensucht.
Wenn ich nun im Gegenzug bei jedem Konturelement erst mal in eine (ja nicht erstellte) Zeichnung schauen müsste, welche Toleranz nun anzuwenden ist, würde das die Arbeit enorm verlangsamen, zur Segmentierung bei der Bearbeitung zwingen.
Ist klar, daß das Rohmaterial so passen wird, gehe ich meist zur Säge und lasse die ggf. schon mal loslaufen.
In der hier angesprochenen, im Maschinenbau gängigen 2 1/2d-Arbeitsweise dauert der Postprozessorlauf, der die finale Anpassung an die Maschine und deren Steuerung vornimmt, nur wenige Sekunden. Bei 3d, also Formenbau, können Berechnung und Postprozessor Stunden brauchen, ist aber eine andere Welt.
Teil in die Maschine, Programm auch, auf geht's, Werkzeuge als Standardbestückung, wenn nur möglich, auch das ist die Aufgabe des Konstrukteurs, dann kann die Fertigung beginnen. Im anderen Fall hätte ich jetzt - vielleicht - die idw fertig, könnte also frühestens jetzt anfangen zu programmieren.
Im weiteren Verlauf der Teilefertigung muß fast jedes Teil umgespannt werden, oft kann man es jetzt nicht mehr ohne Weiteres in Standardspannmitteln aufnehmen, sie müssen in einem Zwischenschritt konstruiert und gefertigt werden.
Das sieht man bei Zulieferern im Regelfall nicht, der CAM-Anwender greift auch hier zum Inventor und zunächst zur abgeleiteten Komponente, um die Modellassoziativität zu erhalten, muß aber manuell nacharbeiten, weil aus Aussenecken am Teil jetzt Innenecken wurden, die freigestellt werden müssen. Aber auch dieser Schritt programmiert sich mit CAM sehr schnell, vor allem, wenn wieder auf Mitte Toleranz gearbeitet wurde und nicht das abgeleitete Modell jetzt um die z. B. 0.05mm daneben ist. Da man jetzt zunächst des Farbcodes verlustig ging, vergisst man das zu schnell.
Die Spannmittelkonstruktion ("Weiche Backen") ist tägliches Brot, also CAD und sofort CAM drauf.
Was passiert nun, wenn an der allem zugrundeliegenden Masterskizze der Konstruktion nach der Erprobung etwas ändere. IV zieht die ipt's nach, wird mir die nicht vorhandenen idw's nicht anmaulen. Was mir bleibt, ist die Prüfung, welche Teile geändert wurden, Die geänderten Teile kommen ins CAM, die Kette wird synchronisiert, manuell anzustoßen und das CAM mault an, wo es nicht klarkommt, man muß jeden Prozesschritt in der Simu kontrollieren und gegebenenfalls - aber eben nur gegebenenfalls - nacharbeiten.
Und ich habe keine Maschinenbindung mehr, Ich kann also durchaus den Maschinenraum austauschen, ebenso den Postprozessor und dasselbe Programm dann auf einer anderen Maschine fahren, soviele, wie man eben im Keller stehen hat.
Wie wirkt sich das nun in der Praxis au?. Zunächst gehen die Fehler deutlich zurück, die visuelle Arbeitsweise, die auf Sicherheit getrimmten Prozesse. Vor allem die Zahlendreher und Fehlinterpretationen der Zeichnungen entfallen ganz.
Vor dem Wechsel in die Konstruktion und zwangsläufig Projektleitung hatte ich als Musterbauer Einzelteile im Normalfall noch am selben Tag erprobungsfertig, ganze Baugruppen in 1-2 Wochen. Jetzt warte ich im Job nicht selten 4 Wochen auf Einzelteile, auf Baugruppen schon mal 12 Wochen. Zum Glück sind die anderen wohl auch nicht schneller.
Mit anderen Worten, aus 24-48h wurden 4 Wochen, aus 1-2 Wochen deren 8-12. Die Ursache hiefür ist schlicht die gute Auslastung der Zulieferer und das mangelnde Interesse an Kleinserien, selbst mit "Anreizen" für kürzere Termine ist wenig zu machen, weil dann u. U. die Brauereien der Umgebung nicht mehr ausreichend lieferfähig wären. Aber selbst dann bliebe der administrative Verzug zwischen ipt-Fertigstellung und Programmierungsbeginn.
Im Umkehrschluß habe ich in den eigenen Projekten Luft für mehr Versuchs- und Änderungszyklen, kann finale idw's dann immer noch machen, wenn dies gefordert sein sollte und bin vor allem bei Änderungen wesentlich schneller.
Diese in nun gut 15 Jahren entstandene Arbeitsweise hat auch Nachteile. So ist eine Externvergabe der Daten nicht mehr möglich, es sei denn, jemand hat dieselbe CAD/CAM-Kombi und ist bereit, mit denselben Konzepten zu arbeiten. Und wie gibt man nun ganze IV-Projekte weiter, wenn Zusatzanwendungen auch noch drin hängen, die Pack&go nicht mitnimmt?
Fällt mir ein Teil meiner Equipmentkette aus, muß ich zwingend selbst Redundanz vorhalten, da ein Ausweichen nach Extern nicht mehr so einfach möglich ist.
Der Meinung, daß man so keine Zusammenbaupassungen machen könnte, wie der Vorredner befürchtet, bin ich aufgrund der praktischen Erfahrung nicht, hängt sicher auch von der individuellen Aufgabenstellung ab.
Ende Fahnenstange? Kaum. Der nächste Schrei werden wohl bezahlbare 3d-Scanner werden, wie auch immer funktionierend, sie vermessen das gefertigte Teil und vergleichen es mit der ipt als Referenz. Spätestens dann wird die Mitte-Toleranz-Modell-Debatte erneut losgehen.
(Die restlichen Rechtschreibfehler lass ich drin.)
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[Diese Nachricht wurde von murphy2 am 28. Dez. 2012 editiert.]
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